Eines schönen Freitags strich der Maler der Nachbarn deren hölzernes Balkongeländer. Doch was war das? Die verwendete Farbe war viel heller als die Lasur, mit der der Balkon zuvor eingelassen worden war. Dabei hatte der Maler damals die Erstlasur am Neubau vorgenommen und musste doch wissen, welche Lasur er vor wenigen Jahren aufgetragen hatte. Und schon rattern die Gedanken: War da ein unkundiger Hilfshandwerker zu Gange? Hatte der Maler die Farbnummer verlegt? Wussten die abwesenden Nachbarn über den Farbwechsel Bescheid? Was ist da nur schiefgelaufen?
Am Montag danach kam der Maler ein zweites Mal. Und siehe da: Er überstrich die helle Farbe mit einer dunkleren Lasur und alles sah so harmonisch aus, wie vor dem Erstanstrich am vergangenen Freitag. Dass der Maler sehr gründlich gearbeitet hatte, konnte das freitägliche Gedankenkarussell natürlich noch nicht wissen.


Kennst du solche Situationen auch? Du siehst, hörst, erlebst etwas und machst dir dazu deine Gedanken. Irgendwann später stellst du fest, dass deine Gedanken unnütz, fehl am Platz und unzutreffend waren. Im schlimmsten Fall verurteilst du oder bewertest du sogar andere Personen völlig unzutreffend. Dazu eine krasse Zeitungsnotiz:

In Australien wurde eine Mutter vor zwanzig Jahren zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, weil keines ihrer vier Kinder älter als 18 Monate wurde. Ohne schlagkräftige Beweise für Tötungsdelikte an den Kindern zu haben, wurde von den Richtern unterstellt, dass es nicht sein könne, dass vier Kinder das Alter von 18 Monaten nicht überleben und dass die Mutter ihre Kinder erstickt oder anderweitig getötet haben müsse. Zwanzig Jahre nach dieser Verurteilung stellt sich durch neue Untersuchungsmethoden heraus, dass mehrere Kinder an einem seltenen Gendefekt litten, der zum plötzlichen Herztod führen kann und die Kinder durchaus eines natürlichen Tods gestorben sein können. Nach 20 Jahren Gefängnis wurde die Mutter nun entlassen. Mich schauert bei solchen Schilderungen. So kann die Voreingenommenheit von Menschen anderen Menschen unendliches Leid zufügen.

Genau deshalb ist es wertvoll, sich Gedanken über seine Gedanken zu machen. Wie viel oder wie wenig erfassen sie von der tatsächlichen Realität? Ist dir bewusst, dass du immer nur einen kleinen Ausschnitt dessen wahrnimmst, was tatsächlich Realität ist? Vermutlich nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass wir nur ca. ein bis wenige Prozent dessen tatsächlich wahrnehmen, was real um uns herum passiert. Das meiste in unserem Umfeld nehmen wir aufgrund von Fokussierung, Begrenztheit unserer Erfahrungen oder Gedanken eben gerade nicht wahr. Trotzdem leben wir in der Illusion, alles wahrgenommen zu haben und uns deshalb aus unseren Gedanken heraus eine umfassende Meinung bilden zu können. Wir sind sogar der Überzeugung, über andere urteilen, andere bewerten oder Behauptungen über sie aufstellen zu können. Wie arrogant, anmaßend und rechthaberisch klingt das?

Alles ist möglich. Wenn uns klar wäre, dass wir mit unseren Sinnen und damit mit unseren Gedanken gar nicht erfassen können, was tatsächlich Realität ist, würden wir vermutlich anders handeln. Würden wir dann vermeiden zu urteilen, zu verurteilen, oder zu bewerten? Würden wir lernen, nachzufragen, auch andere Sichtweisen zu akzeptieren und zu tolerieren? Uns vielleicht ab und zu selbst mit unseren Bewertungen und Verurteilungen in Frage stellen? Ich hoffe das. Ich hoffe, dass ich mit diesem Blog zu mehr Selbstreflexion beitragen kann. Denn auch du willst nicht von anderen unsachgemäß behandelt werden. Deshalb hilft es, wenn du bei dir selbst beginnst und andere nicht mit deinen eingeengten Gedanken unsachgemäß behandelst.

Über die Autor(in):

Sigrid König

Als ausgebildeter Coach mit dem Schwerpunkt „Arbeit mit dem Unterbewusstsein“ und als langjährige Führungskraft möchte ich nun meinen Lebenstraum und meine Berufung verwirklichen und gewinnbringend für dich meine Begabungen, Wissen und Erfahrungen an Dich weitergeben.